„Entwickeln statt schließen!“

Von Redaktion · · 2017/04

Warum eine Schließung der Flüchtlingslager in Dadaab unrealistisch und unsinnig ist, erklärt der humanitäre Experte Kilian Kleinschmidt im Gespräch mit Irmgard Kirchner.

Was sagen Sie dazu, dass ein Gericht in Kenia die Schließung der Flüchtlingslager in Dadaab untersagt hat?

In den letzten zwei Monaten ist meine Ehrfurcht vor Gerichten gestiegen. Es ist sehr erfreulich, dass auch in Kenia die Justiz aktiv geworden ist. Die Schließungsthematik ist in Kenia nicht neu: Die Flüchtlinge werden für alles verantwortlich gemacht, was nicht funktioniert. Das Sicherheitsthema wird vorgeschoben. Ob in Kenia, in Europa, oder in den USA: das ist dieselbe Denkweise.

Wie realistisch ist eine Rückkehr der somalischen Flüchtlinge aus Kenia nach Somalia?

Ende 1992 gab es das letzte Mal relative Sicherheit in Somalia. Damals ging es um Rückkehr. Die US-Amerikaner hatten eine sogenannte Quick Protection Force zur Verfügung gestellt, um die Rückkehrbewegungen zu begleiten. Dann kam 1993 der große Schock: In Mogadischu begann General Aidid den Angriff auf die Vereinten Nationen. In den folgenden Kämpfen zwischen den Vereinten Nationen und den US-amerikanischen Truppen und den Somalis waren sehr viele Opfer auf beiden Seiten zu beklagen. Das positive Denken „Jetzt kommt der Frieden, jetzt bauen wir Somalia wieder auf!“ ist komplett zusammengebrochen.

Kilian Kleinschmidt, gebürtiger Deutscher, ehemaliger leitender Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR, Berater und globaler Netzwerker, hat Erfahrung mit der Verwaltung der größten Flüchtlingslager der Welt. Zu Beginn der 1990er Jahre und wieder ab 2011 war er für das UNHCR in Kenia und Somalia tätig.

Und wie schaut es aktuell aus?

2012 haben die Truppen der Afrikanischen Union unter größten Schwierigkeiten und mit viel Blut Regionen in Somalia für die Regierung zurückerobert. Und dann geschah nichts. Es gibt keinen Wiederaufbau. Die internationalen Organisationen trauen sich nicht nach Somalia, sie sitzen hauptsächlich in Nairobi, alles wird aus der Ferne gemacht. Nach der Rückeroberung der Stadt Baidoa hat es neun Monate gedauert, bis der erste Brunnen gebohrt wurde.

Wie haben sich die Flüchtlingslager im Laufe der Jahre verändert?

2011, als ich wieder nach Kenia geschickt wurde, gab es immer noch die gleichen Flüchtlingslager wie vor 20 Jahren. Allerdings entwickeln sich neue Strukturen, wenn viele Menschen so lange zusammenleben. Das ist ein ganz anderes Gefühl als in einem Nothilfelager am Anfang einer Krise, wenn es wirklich ums Überleben geht. Dadaab ist das größte Wirtschaftszentrum in dieser Region Kenias. Die Hilfsindustrie war damals 350 Millionen Dollar im Jahr wert, und das in einer armen Region, in der es kaum Investitionen gibt. Die Region ist immer wieder von Dürre betroffen, wie auch gerade jetzt. Als Konsequenz des Klimawandels kommt sie statistisch nicht mehr alle zehn, sondern alle fünf Jahre.

Die kenianische Regierung hat dieses Lager allerdings als eine Art Krebsgeschwür betrachtet. Ich habe versucht, einen Prozess einzuleiten, wie aus Dadaab die Stadt Dadaabia werden könnte.

Wir müssen uns klarmachen, dass Urbanisierung und Veränderung im Exil ganz wichtige Themen sind. Viele Menschen kamen aus Dörfern nach Dadaab. Ihre Kamele sind gestorben. Im Lager haben sie sich urbanisiert, sind zu Händlern geworden, sind in die Schule gegangen u.s.w. Diese Menschen werden nie wieder in die Dörfer zurückgehen.

Welche Alternative gibt es zur Schließung des Lagerkomplexes?

Entwickeln! Die ethnisch somalische Bevölkerung im Nordosten von Kenia hat das Gefühl, von jeglicher Entwicklung vollkommen ausgegrenzt zu sein. Es gibt ganz große Schwierigkeiten mit Armut und mit Dürre. Und es gibt kaum Infrastrukturentwicklung. Würde man das Flüchtlingslager als ein Wirtschafts- und Bevölkerungszentrum entwickeln, könnte man viele Probleme verhindern, anstatt darauf zu warten, dass sich das Lager auflöst.

Interview: Irmgard Kirchner

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